Bericht eines Mitglieds von Oktober 2010
Es war am 18. August 2010, um kurz vor 10 morgens, als Ana, unsere spanische Tierschützerin vor Ort, mich in meinem Hotel abholte um mit mir in die Perrera Gesser zu fahren. Was mich da erwarten würde, wusste ich nicht genau. Sicher, man versucht sich auf das Schlimmste einzustellen, hat einige Bilder im Internet gesehen, doch man kann sich einfach nicht darauf vorbereiten, dieses Elend mit eigenen Augen zu sehen. Die Fahrt dahin war irgendwie unwirklich. Wir fuhren durch die wunderschöne Landschaft Andalusiens, vorbei an weissen Stränden und türkisenem Meer. Während der Fahrt unterhielt ich mich angeregt mit Ana, hatte schon fast vergessen, wohin es ging. Als wir in der Perrera Gesser ankamen, überkam mich aber sofort dieses beklemmende Gefühl. Man fühlte sofort, dass dies kein glücklicher Ort ist.
Als wir ausstiegen, musste ich kurz warten, denn Ana musste erst fragen, ob ich mit hinein durfte. Ich durfte und so ging es los.
Die Perrera besteht im Prinzip aus mehreren schmalen Reihen unter freiem Himmel. Die Reihen wiederum bestehen aus aneinander gereihten Zwingern, die Böden sind gefliest. Die Zwinger, in denen sich die Katzen befinden, sind inmitten der Hundezwinger. Sobald man durch die Reihen geht, fangen die Hunde an zu bellen und an den Gittern hoch zu springen. Die meisten Hunde in den Zwingern sind Rassehunde, vom Welpen bis zum Senior war alles dabei, die meisten trugen noch ihr Halsband mit ihrem Namen. In ihren Augen konnte man die volle Gefühlspalette sehen, von unbändiger Trauer, über Unverständnis, Verzweiflung bis hin zu Wut. Einige Hunde waren allein in ihren Zwingern, andere zu Zweit oder zu Dritt, diese hatten dann meist auch Bisswunden.
Als wir an einem Katzenzwinger ankamen, waren die Katzen von dem Hundebellen noch völlig verängstigt. Als die Hunde uns nicht mehr sahen, ließ das Bellen nach und die Katzen beruhigten sich.
In dem Zwinger saßen 20 Katzen, es waren alle Rassen und Farben vertreten. Einige sahen noch ganz gut aus, andere dafür umso schlimmer. Manche von ihnen hatten panische Angst vor uns, verkrochen sich in der letzten Ecke, andere bettelten um Aufmerksamkeit, miauten einen an und kletterten an uns hoch. Die Katzen waren nass und zum Teil voller Kot. In dem Katzenklo war zu sehen, dass der größte Teil der Katzen Durchfall hat, zum Teil war dieser richtig gelb. Bei vielen war die Nickhaut vorgefallen. Als Ana das Futter in den Näpfen verteilte, kamen nicht alle hervor. Einige waren zu krank zum Fressen, andere sahen so aus, als hätten sie sich schon aufgegeben. Auch hier hatten einige noch ihr Halsband um, man sah ihnen an, dass sie die Welt nicht mehr verstanden.
Die, die früher mal ein Heim hatten, haben es besonders schwer, erzählte mir Ana. Die Straßenkatzen seien meist hart im Nehmen und würden es zumindest eine Zeit lang recht gut verkraften. Doch die, die mal „ihren“ Menschen hatten, mit ihm im Bett oder auf dem Sofa schlafen durften, die nie groß mit Krankheitskeimen in Berührung gekommen sind, sterben wohl meist nach kurzer Zeit. Über 50% der Perrerakatzen sind ehemalige Hotelkatzen. Angelockt von den Küchenabfällen, lernen sie schnell, dass die meisten Touristen sie bereitwillig mit Nahrung versorgen. Das führt dazu, dass sie sich explosionsartig vermehren. Da die Menschen sie meist sehr gut behandeln und mit Streicheleinheiten versorgen, haben diese Hotelkatzen auch keine Scheu vor den Menschen. Dies wird ihnen dann zum Verhängnis, wenn die Hotelbesitzer sie von den Perreramitarbeitern abholen lassen. Die restlichen Insassen werden tatsächlich von ihren Besitzern in der Perrera aus den unterschiedlichsten Gründen abgegeben. Diese interessieren dort eigentlich auch niemanden, aber meistens wurden sie für die Kinder angeschafft und als sie dann größer wurden und sich auch mal gewehrt haben, trennte man sich dann lieber wieder. Dazu muss man wissen, dass es in den meisten Einkaufszentren in Spanien auch Zoohandlungen gibt, in denen die Tiere im Schaufenster sitzen. So wird dem Drängeln des Nachwuchses dann gerne mal nachgegeben und auf dem Rückweg vom Wocheneinkauf ist man dann plötzlich Besitzer eines Tieres geworden.
Zurück zur Perrera. Ein Siammix war so dünn, dass ich kaum noch glauben konnte, dass man so abgemagert noch leben kann. Ein Grautiger war ganz offensichtlich sehr krank, doch er strahlte eine Würde aus, dass es mich zutiefst berührte. Ich bat Ana ihn mitzunehmen und behandeln zu lassen, doch sie musste ablehnen, da sie im Moment so viele Katzen beherbergt, dass sie keine Weitere mehr aufnehmen kann. Alle Pflegestellen sind voll, die Tierschützer haben die Katzen selbst in kostenpflichtigen Pensionen untergebracht. Die ganz kranken nimmt Ana zum Teil noch mit, päppelt sie und muss sie anschließend wieder in die Perrera bringen. Ihre Kapazitäten sind erschöpft.
In der Perrera bemüht Ana sich, dass jede Katze , die kann, etwas frisst und dass jede Katze, sofern sie will, einige Streicheleinheiten bekommt.
Wir verlassen diesen Katzenzwinger. Begleitet vom Hundegebell gelangen wir zum Nächsten und es bietet sich das gleiche Bild. Auch hier sind die Katzen abgemagert, haben tränende Augen und Durchfall. Wir füttern, streicheln, ich kann mich kaum losreißen. Das Wissen, keine davon mitnehmen zu können, macht mich unfassbar traurig. Doch auch dann heisst es Abschied nehmen. Einige von ihnen wollen mit, versuchen auf den Arm zu springen und aus dem Zwinger zu fliehen. Beim Gehen zerreißt es mir das Herz.
Auf dem Weg zurück sehe ich einen Schäferhund in seinem eigenen Durchfall liegen. Als ich vor seinem Zwinger stehen bleibe, gelingt es ihm kaum seinen Kopf zu heben. Sein Blick hat sich in meine Seele gebrannt. Er war so unglaublich traurig, aber ich sah auch die Hoffnung darin. Er hat gepumpt und sein Herz schlug wie verrückt. Ich rief Ana. Sie war entsetzt, denn der Schäferhund war schon am Vortag in diesem Zustand und ging zum Tierarzt der Perrera und bat ihn, den Schäferhund einzuschläfern.
Ich versprach ihm in Gedanken, dass ich allen von ihm erzählen würde, in der Hoffnung, dass sich so etwas bessern könne und andere vielleicht vor dem Tod bewahrt werden können.
Ana führt mich noch auf dem Gelände der Perrera herum, ich kann die andere Tierschützerin kurz kennen lernen , die sich mit Ana in der Perrera für die Katzen aufopfert.
Viele Kitten sind ohne Mama in der Perrera. Entweder sind die Mütter in der Perrera verstorben, oder sie wurden schon ohne Mama dort abgegeben. Diese Babys werden von den Tierschützern separat in Käfigen untergebracht, da sie in den Zwingern innerhalb kürzerster Zeit versterben. Die Käfige sind gestapelt, ausgelegt mit einer Hygieneunterlage und versehen mit Wasser und Trockenfutter. Nassfutter oder Milch wird nicht gegeben, da dies bei der Hitze sofort Fliegen anzieht. Vitaminpaste geben die Tierschützer zusätzlich, die Babys lieben sie. Wenn die beiden die Käfige säubern, dürfen die Babys draussen spielen. Dann klettern sie auf Bäume und können rennen und spielen. In den Käfigen können sie dies natürlich nicht. Aber auch in den Käfigen werden viele Babys sehr krank und sterben oft. Sie haben halt einfach noch nichts zuzusetzen. Auch an diesem Tag sind zwei Babys sehr krank. Sie erbrechen, haben Durchfall und sind deswegen unglaublich schwach. Ana nimmt sie mit nach Hause. Sie will noch alles versuchen. Ohne Hilfe, sagt sie, sterben sie innerhalb von Stunden. Deswegen ist nun auch Eile geboten. Die Babys brauchen Infusionen und etwas gegen Durchfall und Erbrechen.
Zeit zum Gehen. Auf dem Weg zum Auto sehe ich, dass der Schäferhund immer noch so daliegt. Sein Anblick verfolgt mich bis in meine Träume. Ich hoffe so sehr, dass es ihm da, wo er jetzt ist, besser geht und dass er vergessen kann, was ihm widerfahren ist.
Langfristig gesehen, können wir die Situation vor Ort nur mit Kastrationsaktionen verbessern. Doch leider hilft das den Tieren nicht mehr, die sich schon jetzt in den Perreras befinden. Wenn Sie persönlich auch nur einem Tier ein neues Zuhause geben können, ändert sich vielleicht an dem Problem nicht viel, doch für dieses eine Tier, verändern Sie alles.